Next Gens planen Nachfolge: Ein Gespräch

25. Okt. 2023 | Lesedauer: 9 Min.

Dr. Marcel Megerle begleitet seit vielen Jahren unternehmerische Familien bei Nachfolge- und Transformationsprozessen. Im Interview mit Kontora Insights spricht der Geschäftsführer des Beratungsunternehmens FUTUN: FamilienUnternehmerTUN über die Bekämpfung von „Monstern unterm Teppich“, selbstbewusste Next Gens und schräge Kommunikationsanschlüsse.

In Ihrem Buch „Familienstrategie erleben und gestalten“ verwenden Sie das Bild eines Teppichs, den es aus dem Raum zu tragen gilt. Was ist unter diesem Teppich verborgen?

In meiner Beratungspraxis beobachte ich, dass Familienunternehmer häufig Künstler der Tabuisierung sind. Sie haben ihre Unternehmen über Jahrzehnte erfolgreich aufgebaut, sich kaum geschont und vieles dem unternehmerischen Erfolg, bzw. der damit verbundenen Verantwortung, untergeordnet. Ihre Fokussierung auf das Unternehmen kann Konflikte innerhalb der Familie auslösen, die nicht besprochen, sondern unter den Teppich gekehrt werden.

Welche Konsequenzen hat das?

Einerseits leiden die familiären Beziehungen, Ehen können zu Bruch gehen. Andererseits stellt sich ein Gewöhnungseffekt ein. Man empfindet es beispielsweise als normal, dass mit dem Onkel oder der Tante nicht mehr gesprochen wird. Früher oder später kommen diese „Monster unterm Teppich“ jedoch wieder ans Licht, beispielsweise im Rahmen einer Krisensituation oder einer notwendigen Transformation des Unternehmens oder des Vermögens. Dann brechen alte Konflikte auf, die den familiären Frieden gefährden. Werden die Konflikte hingegen besprechbar, verlieren sie meist ihren Schrecken. Je frühzeitiger und proaktiver dies geschieht, desto mehr stärkt dies die Unternehmerfamilie im Zusammensein und -tun.

Ist die Next Gen offener für den Ansatz, externe Begleitung hinzuzuziehen?

Früher war es eher die Sen Gen, die Beratung dazugeholt hat, meist nach einem gescheiterten Übergabeversuch. Das waren echte Krisenfälle. Vor einigen Jahren hat sich das Bild aber gewandelt. Heute geht die Next Gen auf ihre Eltern zu und sagt: „Wenn ich mir überhaupt Gedanken dazu machen soll, ins Familienunternehmen einzusteigen, müssen wir erst mal unsere Zusammenarbeit aushandeln. Ansonsten bietet mir der Arbeitsmarkt Chancen, die vielleicht noch attraktiver sind.“ Ich sehe diese Haltung aber sehr kritisch.

Warum?

Die Next Gen will zwar etwas aushandeln, aber nicht immer die volle Verantwortung und die damit einhergehende Verbindlichkeit tragen. Da kann ich Senioren verstehen, die sagen: „Mit einem 30-Stunden-Job, den du über Remote aus Mallorca machst, kannst du unser produzierendes Gewerbe nicht führen.“ Hier treffen unterschiedliche Vorstellungen aufeinander, welche Rolle Arbeit im Leben spielt.

 

„Familienunternehmer sind häufig Künstler der Tabuisierung.“

Dr. Marcel Megerle

Nehmen wir einmal an, ein Patriarch möchte seine Tochter als Nachfolgerin aufbauen. Er ist 24/7 für das Unternehmen da, sie will Zeit für die Familie und ihre Kinder ungestört zur Kita bringen. Wie kann ein Kompromiss aussehen, der beide Seiten zufriedenstellt?

Das hängt vom Einzelfall ab und muss individuell ausgehandelt werden. Wenn es sich beispielsweise um einen Installationsbetrieb handelt, ist es unter Umständen notwendig, dass die Chefin frühmorgens um 6:30 Uhr auf dem Betriebshof steht, damit alle Fahrer pünktlich um sieben geordnet loskommen. Andere Geschäftsmodelle erlauben mehr Flexibilität. Um eine Lösung zu finden, die Patriarch und Nachfolgerin zufriedenstellt, ist es unserer Erfahrung nach wichtig, die Interessen hinter deren jeweiligen Positionen herauszukristallisieren. So muss es oft kein Kompromiss sein, vielmehr entsteht ein völlig neuer Weg, der die jeweiligen Interessen miteinander vereint.

Konflikte zwischen den Generationen entstehen häufig durch die Verschränkung familiärer und unternehmensbezogener Themen. Wie sorgen Sie als Berater für Ordnung?

Ausgangspunkt ist immer eine tiefgreifende Analyse. Wir fungieren wie ein Schwamm, führen mit den Familienmitgliedern mehrstündige Interviews, setzen uns im Begleiterteam ausführlich mit den Antworten auseinander und bereiten die Inhalte systematisch auf. Kennen Sie das Memory „Die Kunst aufzuräumen“? Ein Paar besteht hier immer aus einem unaufgeräumten und einem aufgeräumten Motiv. Denken Sie an einen Teller gut durchgerührter Spaghetti, daneben alle Zutaten getrennt voneinander: die Spaghetti der Länge nach sortiert neben einem runden Klecks Tomatensoße und einer Portion Parmesan. Sehr bildlich und vereinfacht gesprochen gehen wir genauso vor: Wir entwirren die Themen und clustern sie neu. So ermöglichen wir allen eine neue Perspektive auf den Status quo.

Sie grenzen also die Bereiche Familie und Unternehmen voneinander ab. Warum ist das wichtig?

Erst wenn wir eine positive Abgrenzung schaffen, lassen sich Ressourcen und Potenziale neu zusammenstellen. Dadurch entsteht eine neue Ordnung, die in der Praxis zum Wohle des Ganzen funktioniert. Übrigens sollte auch das Vermögen gesondert und intensiv betrachtet werden, denn an diesem Thema können sich viele Konflikte entzünden.

Weil immer jemand dabei ist, der sich zu kurz gekommen fühlt?

Ich denke, dass eine gerechte Vermögensnachfolge in praktischer Hinsicht kaum erreichbar ist. Ich denke aber, dass es fair zugehen kann. Nehmen wir an, es gibt ein Ferienhaus auf Sylt und eines am Gardasee. Das eine ist zwei Millionen Euro wert, das andere nur eine. Es ist zwar nicht unmittelbar gerecht, die Immobilien auf ein Geschwisterpaar zu verteilen, aber dennoch fair, wenn der eine die Nordsee und der andere Norditalien bevorzugt. Dies setzt jedoch einen kommunikativen intergenerationalen Prozess voraus, der alle Beteiligten in der dafür notwendigen Offenheit zusammenbringt. So können Lösungen entstehen, die sich an Bedürfnissen und Kompetenzen orientieren und von allen gemeinsam getragen werden.

„Emotionalität soll ihren Platz haben, allerdings brauchen wir eine Sortierung.“

Dr. Marcel Megerle

Gegenseitiges Verständnis ist zweifellos vernünftig. Stehen der Vernunft nicht oft überschäumende Emotionen im Weg?

Emotionalität kann und soll ihren Platz im Prozess haben. Allerdings brauchen wir im Sinne der Professionalisierung eine saubere Sortierung. Auf der Seite des Unternehmens kann man sich an Erfahrungswerten orientieren: Was funktioniert im Markt und was funktioniert nicht? Im System des Vermögens gibt es Spielregeln, die ein Family Office gut kalkulieren kann: Chancen, Risiken, Renditen. Unternehmen und Vermögen sind also eher rationale Systeme. Das System der Familie hingegen ist komplett emotional, und ich glaube, dass diese Wahrhaftigkeit der Emotionalität auch zugelassen werden muss. Aber sie darf nicht überhandnehmen und sich in die anderen Systeme ausbreiten. Also versuchen wir, Container zu bilden, in denen wir die jeweiligen Themen und die jeweilige Emotionalität oder Rationalität markieren und bei Bedarf entemotionalisieren. Dies mit dem Ziel, sie so besprechbar zu machen. Erinnern Sie sich an das Bild vom Spaghetti-Teller, wenn alles bewusst und strukturiert auf dem Tisch liegt.

Sind sich die Familienmitglieder bewusst, in welchem System sie sich gerade bewegen?

Das ist nicht immer der Fall. Einer meiner Lehrmeister meinte, dass jedes Familienmitglied eigentlich drei verschiedenfarbige Lampen auf dem Kopf bräuchte: Eine für die Familie und jeweils eine für das Unternehmen und Vermögen. Wenn wir miteinander sprechen, sollte die gleiche Lampe leuchten. Nur so kann ich sicher sein, dass die Frequenz, auf der ich sende, auch beim Gegenüber im richtigen Kanal empfangen wird. Wenn eine Unternehmerfamilie am Esstisch über ein Thema spricht, kann es sein, dass die einen sich im System Unternehmen und die anderen sich im System Familie befinden, ohne sich dessen bewusst zu sein. Dann kommt es zu den sogenannten schrägen Kommunikationsanschlüssen – und häufig zum Streit.

Am Ende Ihrer Arbeit kann eine Familienverfassung stehen. Wie detailliert sind die darin festgehaltenen Spielregeln?

Je konkreter das Ergebnis ist, desto eher wird es in das Leben der Familie integriert. Viele Familienverfassungen sind zwar nett gemacht, landen aber im Regal und setzen Staub an. Ein Einband aus Leder nützt niemandem etwas. Besser ist ein Ordner, in den man ein Blatt einlegen und ein anderes herausnehmen kann. Es muss ein lebendiges Objekt sein. Auch der Einsatz von OKR (Objectives and Key Results, Red.) bietet sich an, um Ziele auf messbare Ergebnisse herunterzubrechen und in die tägliche Familienkultur zu integrieren. Erst das konkrete Benennen von Rechten und Pflichten macht einen Gesellschafterkreis steuer- und entscheidbar.

Was ist der typische Zeitrahmen für Ihre Beratungsleistung?

Das hängt immer von der Komplexität der Aufgabe ab. Bis eine Familienverfassung ausgehandelt und von allen unterschrieben ist, können sechs bis 24 Monate vergehen, in manchen Fällen auch mal 48 und mehr. Wichtiger als das gemeinsam erarbeitete Papier selbst ist aber dessen Entstehungsprozess, das gemeinsame Erleben. Unser wichtigster Anspruch ist, die Familien so in deren Potenzial zur Weiterentwicklung zu stärken, dass sie eigenständig gewinnbringend zusammenarbeiten können.

Haben Sie eine Empfehlung für Next Gens, die sich auf die Nachfolge vorbereiten wollen?

Ein erfolgreicher Nachfolgeprozess setzt innere Arbeit voraus, eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den ureigensten Anliegen. Die Sen Gen schätzt es, wenn die Next Gen weiß, was sie will. Nachfolgende sollten sich demnach so früh wie möglich mit den eigenen Zielen und Kompetenzen auseinandersetzen. Gute Vorbereitung erleichtert den strukturierten, von Beraterteams begleiteten Prozess – und steigert die Erfolgschancen einer Nachfolge erheblich.

Dr. Marcel Megerle – selbst aus einer unternehmerischen Familie stammend – ist spezialisiert auf die Erarbeitung von Familienstrategien und Nachfolgelösungen. Er hat den europaweit ersten Universitätsstudiengang für Familienunternehmer*innen entwickelt, ist Gründungsmitglied des Friedrichshafener Instituts für Familienunternehmen und lehrt an verschiedenen Universitäten. Im Rahmen der Nachfolgelösungen (Führung und Eigentum) arbeitet FUTUN eng mit Kontora Family Office zusammen. www.futun.ch

 

Auch interessant: Dieses Gespräch ist als Kurzfassung in unserem Whitepaper „Next Gens gestalten Zukunft“ erschienen, das Spannungsfelder im Kontext von Unternehmensübergaben beleuchtet und sich an Next Gens wendet. Gleich herunterladen!

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